Eine aufschlussreiche Sammlung

Aus heutiger Sicht würde man die Auswahl inhaltlich als eher konservativ bezeichnen. Generell lässt sich feststellen, dass nach bildungsbürgerlichem Gusto gekauft und gelesen wurde. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mutet das Profil zeitweise schillernd an: Es wimmelt von Lesestoff, den wir heute als Trivialliteratur bezeichnen.

 

Aber die klassischen Vertreter des Realismus sind präsent. Im 20. Jahrhundert fehlen beispielsweise Georg Trakl, Robert Musil und Joseph Roth. Man findet einen einzigen Titel von Frank Wedekind, zwei von Friedrich Glauser, drei von Robert Walser und Ernest Hemingway, keinen einzigen von Bertolt Brecht – dafür 24 von Hermann Hesse und gar 40 von Ludwig Ganghofer, dem Urvater der deutschen Heimatliteratur.  

Was die Sprachen betrifft, müssen die Bernerinnen und Berner ein weltoffenes Lesepublikum gewesen sein. Den Grundbestand bildeten zuerst deutsche und französische Titel sowie Übersetzungen, später wurde auch englische und italienische Literatur im Original angeschafft. Der erhaltene Bestand enthält noch knapp 21'000 deutsche (Übersetzungen eingeschlossen), 9'000 französische und 4'000 englische Titel.  

Die Mischung zwischen Sachliteratur und Belletristik wurde bis ins 20 Jahrhundert beibehalten. Im Jahr der Vereinigung der beiden Gesellschaften, 1941, trug eine Leserin die Moorsoldaten ins Desiderienbuch ein. Der Autor hatte 13 Monate in einem frühen deutschen KZ verbracht. Was er in Börgermoor erlebt hatte, wurde in der Schweiz mit Interesse wahrgenommen. Das Buch war schon 1935 erschienen.